Mit Bischoff Franz-Josef Overbeck und Generalleutnant Ansgar Rieks haben wir uns über ethische und rechtliche Herausforderungen an ein FCAS unterhalten. Das Gespräch erschien in der Zeitschrift „Wehrtechnik“ (I/2021)

In ein breites gesellschaftliches Spektrum einfügen – auf gemeinsame Grundwerte verständigen

FCAS aus ethischer und völkerrechtlicher Perspektive. Interview mit Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck und Generalleutnant Dr. Ansgar Rieks

Portrait von Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck
Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck
Katholischer Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr und Bischof von Essen
Portrait von Generalleutnant Dr. Ansgar Rieks
Generalleutnant Dr. Ansgar Rieks
Stellvertretender Inspekteur der Luftwaffe

Das folgende Interview mit Bischof Franz-Josef Overbeck und Generalleutnant Ansgar Rieks geht zurück auf ein Treffen der AG Technikverantwortung für ein FCAS, das am 2. Oktober 2020 in Berlin stattfand und an der beide Interviewpartner teilnahmen. Weiterführende Informationen zur AG Technikverantwortung sowie die Agenda und das Protokoll der Sitzung vom 2. Oktober sind online unter www.fcas-forum.eu verfügbar. Dort findet sich auch der Vortrag, den Bischof Overbeck in diesem Rahmen gehalten hat. Das Interview selbst wurde dann am 18. Dezember 2020 geführt.

Die 2019 von Airbus Defence and Space und Fraunhofer FKIE gemeinschaftlich initiierte AG Technikverantwortung flankiert die Entwicklung eines FCAS aus ethischer und völkerrechtlicher Perspektive. Ziel ist es, in enger Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern der AG Technikverantwortung sowie den verantwortlichen Ingenieuren und Entwicklern eines FCAS einen Prozess zu gestalten, der gewährleistet, dass wichtige normative und ethische Prämissen bei der Realisierung eines FCAS berücksichtigt werden (ethics by design). Es geht also nicht alleine darum, einen entsprechenden Rahmen für die Entwicklungen eines modernen Waffensystems normativ zu definieren, sondern diesen auch konkret in die Realisierung eines FCAS einzubeziehen.


Wolfgang Koch: Herr Bischof Overbeck, gilt die Verpflichtung zu ethisch verantwortlichem Handeln eigentlich uneingeschränkt? Etwa auch dann, wenn sich Angreifer nicht daranhalten? Oder gibt es Ausnahmen in diesem Fall, schon um das eigene Überleben zu sichern?

Bischof Overbeck: Ich verstehe, dass es in einem solchen Fall sinnvoll sein kann, eine utilitaristische, sprich eine den Handlungsnotwendigkeiten angepasste Position einzunehmen. Ein begründungslogischer Zusammenhang wäre demnach gegeben. Allerdings, und das will ich ausdrücklich betonen, muss dieser von der Vernunft geleitet sein. Und zu dieser, man könnte auch von Verantwortung sprechen, gehören zweifellos ethische und moralische Ansprüche, die wir an uns selbst und an unser Gemeinwesen stellen müssen. Dieses Fundament muss grundsätzlich Bestand haben und daran darf nicht gerüttelt werden. Umso wichtiger ist es, dass wir uns mit derlei Zusammenhängen und Prämissen im Vorfeld eingehend befassen und unsere Antworten darauf formulieren. Dass es bei der Anwendung dann auch eine situationsbedingte Komponente geben kann, will ich aber nicht in Abrede stellen. Nur darf diese nicht zum handlungsleitenden Element werden.

Florian Keisinger: Herr General Rieks, was bedeutet das konkret für ein FCAS, dem potenziell größten und wichtigsten europäischen Verteidigungsprojekt der kommenden Jahre und Jahrzehnte?

General Rieks: Aus meiner Sicht ist es von zentraler Bedeutung, dass wir hier zwei Ebenen zusammenbringen, die unbedingt zusammengehören. Zum einen die technische Umsetzung eines Waffensystems wie FCAS, welches selbstverständlich den militärischen Anforderungen des 21. Jahrhunderts vollumfassend entsprechen muss. Das wir müssen ein System entwickeln, das sich in 2040 und danach mit vergleichbaren internationalen Systemen messen lassen können muss. Sonst können wir es auch gleich sein lassen, es zu entwickeln. Zum anderen ist da jedoch noch die – ich nenne sie jetzt einmal – ethisch-normative Dimension. Bischof Overbeck hat es angedeutet. Wie können wir ein solches System in ethisch verantwortlicher Weise gestalten?

Diese Frage stellt sich umso mehr, als dass bei FCAS vernetzte und automatisierte Technologien zum Einsatz kommen und auch kommen müssen, die wir aus früheren Systemen wie dem Eurofighter so nicht kannten. Wie also muss ein „Ethik-by-Design“-Ansatz definiert sein, der auch diese normative Ebene in die Systementwicklung einbezieht? Darauf müssen wir Antworten finden. Diese Antworten müssen sowohl technologischer als auch philosophisch-ethischer Natur sein. Hier sehe ich die große Chance und auch die große Herausforderung für die FCAS „AG Technikverantwortung“, nämlich diese beiden Ebenen, die technologische wie auch die normative, zusammenzuführen. Etwas Vergleichbares gab es – soweit ich das weiß – bei der Entwicklung eines komplexen Waffensystems noch nie, weder in Deutschland noch vermutlich weltweit.

Ich sage aber auch: Diese Diskussion muss zielorientiert geführt werden. Es darf keine Debatte bis zum Sankt Nimmerleinstag werden. Und sie muss sich – damit haben wir noch eine dritte und sogar vierte Ebene eingeführt – an den zu erwartenden militärischen und geostrategischen Herausforderungen im 21. Jahrhundert orientieren und zudem die Bedürfnisse unserer Luftwaffe an vorderster Stelle miteinbeziehen. Das ist zweifellos komplex, aber anders wird es nicht funktionieren. Wolfgang Koch: Herr Bischof, Herr General, einmal grundsätzlich nachgefragt, wie stark sind Politik und Technik, aber auch Ethik und Glaube miteinander verknüpft?

Bischof Overbeck: Lassen Sie mich einmal biografisch beginnen. Ich komme von einem Bauernhof. Mir leuchten praktische Notwendigkeiten, etwa die Verkaufszusammenhänge der Industrie, sehr gut ein und ich halte diese auch in keiner Weise für unethisch. Natürlich hat jeder der von Ihnen genannten Bereiche seine eigenen partikularen Anforderungen und Voraussetzungen. Konkret auf Waffenentwicklungsprozesse gemünzt, muss man jedoch konzedieren, dass es eine übergeordnete, gemeinsame Verantwortung gibt. Und der können wir, davon bin ich fest überzeugt, nur dann im erforderlichen Maße gerecht werden, wenn wir uns eng austauschen und auf gewisse gemeinsame Grundwerte verständigen. Konkret heißt das etwa mit Blick auf Airbus und die Industrie, dass die reine Gewinnmaximierung nicht das vorderste Ziel von Rüstungsprojekten sein kann und darf. Vielmehr muss die Frage erlaubt sein, wie konkret diese Gewinne erwirtschaftet werden.

Die Politik, aber auch ethische und religiöse Fragen spielen hier eine gewichtige Rolle; sie müssen umfassend mitreflektiert werden. Schließlich geht es hier um potenziell tödliche Systeme. Dieser Verantwortung müssen wir uns alle gemeinsam stellen.

Dass die „AG Technikverantwortung“ für ein FCAS sich dieser Aufgabe unter Einbeziehung eines breiten gesellschaftlichen Spektrums annimmt, begrüße ich daher ausdrücklich.

General Rieks: Der frühere Verteidigungsminister und Bundeskanzler Helmut Schmidt hat einmal sinngemäß gesagt, mit der Bergpredigt könne man keine Politik machen. Damit hatte er einerseits sicherlich recht, vor allem, wenn es um die wörtliche Anwendung in der Tagespolitik ging; andererseits aber gibt es eben Fundamente, deren Bedeutung und Nutzen über die alltäglichen Dinge hinausgehen und damit eine wichtige Rolle spielen, auch wenn wir uns dessen vielleicht nicht immer bewusst sind. Selbstverständlich hängt das auch stark von den handelnden Individuen ab.

Um beim Beispiel der Industrie zu bleiben: Natürlich gibt es in den Unternehmen Menschen, die die Gewinnmaximierung oder die Technikentwicklung an erste Stelle setzen und sich unter Berufung auf ihre spezifische Rolle von ethischen und moralischen Überlegungen fern halten wollen. Andererseits bin ich davon überzeugt und erlebe das auch in der Praxis, dass es immer mehr Menschen gibt, die das nicht so sehen und die sich durchaus über den weiteren Sinn und die Auswirkungen ihres Tuns Gedanken machen. Für die Menschen in den Streitkräften gilt das im Allgemeinen. In der letzten Sitzung der „AG Technikverantwortung“ wurde ferner berichtet, dass sich bei Airbus gerade eine Gruppe von KI-Ingenieuren zusammengefunden hat, die sich intensiv mit dem Verantwortungsaspekt ihrer Entwicklungsarbeit befasst und diesen auch ausdifferenziert. Auf dieses Papier, das die „AG Technikverantwortung“ in ihrer nächsten Sitzung erörtern möchte, bin ich sehr gespannt. Florian Keisinger: Sie beide haben auf die FCAS „AG Technikverantwortung“ hingewiesen. Was sind Ihre konkreten Erwartungen an die Arbeit dieser Gruppe?

General Rieks: Ich bin ein großer Freund davon, dass die Zusammensetzung der Gruppe heterogen ist und eine Vielzahl an Meinungen und Positionen reflektiert. Sowohl wir in der Bundeswehr wie auch die Industrie sind häufig noch zu homogen aufgestellt, wenn wir ethische Fragen behandeln. Dass sich das zunehmend ändert, ist sehr positiv. Aber auch die Ethiker müssen sich da weiterentwickeln. Was erwarte ich mir? Konkrete Ergebnisse, das heißt, die Zusammenführung von ethisch-normativer Reflektion und technologischer Implementierung konkret angewandt auf eine FCAS-Systementwicklung, mit methodischem Erkenntnisgewinn auch für andere vergleichbare Projekte. Wobei ich dazu sagen muss, dass auch ein nach ethischen Standards definierter Designprozess in der operativen Anwendung Ausnahmen für die Piloten zulassen muss. Die Notlandung des Flugzeugs auf dem Hudson-River in New York 2009 hat nur deshalb funktioniert, weil der Pilot zuvor alle Systeme deaktivieren konnte. Die vorprogrammierte Technik des Systems hätte das vermutlich nicht zugelassen.

Was ich sagen will: Auch hier, bei vermeintlich schon nach ethischen Maßstäben designten Prozessen, muss der Mensch als Letztinstanz eingeplant werden. Das alles ist eine riesige Aufgabe, aber letztlich ist es das, was den Erfolg der Gruppe ausmachen wird.

Bischof Overbeck: Es bedarf Regeln, wie wir mit KI [künstliche Intelligenz] in einem FCAS umgehen. Und es müssen Grenzen bewusst gezogen werden, wo es um die Letztverantwortung geht, die nur eine menschliche sein kann. Ansonsten droht die Entmenschlichung der Kriegsführung. Ich hoffe nicht, dass wir jemals in eine solche Situation kommen werden. Wir können unsererseits alles dafür tun, dass das keine Realität wird. Gleichwohl bin ich mir natürlich bewusst, und hier sind wir wieder am Beginn unserer Diskussion, dass ein unkontrollierbares Element verbleibt. Nämlich die Frage, wie andere Länder und Systeme, die derlei Fragen nicht in ethischen oder moralischen Zusammenhängen verorten, dies handhaben.

Wolfgang Koch: In den Grundlagendokumenten der Bundeswehr taucht der Verantwortungsbegriff von Anfang an auf, lange bevor KI überhaupt ein Thema wurde. Und es gibt das Konzept des Staatsbürgers in Uniform. Auch das Prinzip der Inneren Führung spielt eine wichtige Rolle. Daher meine Frage: Welches Menschenbild ermöglicht Verantwortung? Und gibt es Menschenbilder, die hier womöglich ausscheiden?

Bischof Overbeck: Lassen Sie mich mit einer grundsätzlichen Bemerkung beginnen. Die Bundeswehr ist christlich grundiert und mit ethischen Prinzipien auf den Weg gebracht worden, und zwar angestoßen durch die grauenhafte Erfahrung des einzigartigen Missbrauchs von Gewalt während der Zeit des Nationalsozialismus. Die Implementierung der Militärseelsorge war eine wichtige Lernerfahrung, die wir daraus gezogen haben. Dahinter steht die feste Prämisse, dass die Religion ein wichtiger Bestandteil der Lebenswelt einer Vielzahl unserer Soldatinnen und Soldaten ist. Natürlich spreche ich in besonderer Weise aus dem Blickwinkel des katholischen Militärseelsorgers. Ein Resultat der Aufklärung, die zwar historisch einmal gegen die Kirche entstanden ist, gleichwohl ohne den christlichen Glauben nicht denkbar wäre, ist die Annahme der Autonomie und auch Einzigartigkeit eines jeden Menschen. Auf dieses Erbe berufen wir uns und in ihm gründet bis heute das Prinzip der Verantwortlichkeit eines jeden Menschen für sein Leben und Wirken. Dieses Menschenbild ist von zentraler Bedeutung, auch für die Bundeswehr, um nie wieder ideologischen Abgründen wie jenen während der Zeit des Nationalsozialismus anheimzufallen.

Der Autonomiebegriff und die daraus resultierende Verantwortlichkeit des einzelnen machen natürlich auch nicht beim Thema neuer Technologien halt. Dass hiermit Fragen mit einer erhöhten Komplexität des Entscheidungsrahmens verbunden sind, steht außer Frage. Darum gilt es entsprechende Regeln und Verfahren zu entwickeln, die die Anwendung individuellen verantwortlichen Handelns auch in einem so hoch technologisierten Rahmen möglich machen.

General Rieks: Der Staatsbürger in Uniform sowie das Prinzip der Inneren Führung haben sich seit den Anfängen der Bundeswehr bewährt, sie behalten ihre Gültigkeit. Ich halte das für ausgesprochen wichtig, da in ihnen die unverrückbare Verantwortung gegenüber unserer Gesellschaft – und umgekehrt der Gesellschaft auch für die Staatsbürger in Uniform – zum Ausdruck kommt und auch gelebt wird, die für jede Soldatin und jeden Soldaten unverbrüchlich gilt. Bischof Overbeck hat auf den christlich- aufklärerischen Ursprung dieses Gedankenmodells verwiesen, dem ich nichts hinzuzufügen habe, allenfalls den Hinweis, dass ich mir mitunter etwas mehr Unterstützung für die Bundeswehr wünschen würde.

Florian Keisinger: Sie argumentieren beide vor dem Hintergrund eines europäischen Kulturraumes, mit Begrifflichkeiten wie Aufklärung und christliches Menschenbild. Selbst wenn man davon ausgeht, dass ein gewisser Ethikbegriff unter den Menschen universell anwendbar ist, besteht doch das Risiko, dass derlei auf der Ebene von Staaten und Systemen nicht verfängt. Nochmals, wie schaffen wir es, uns dagegen zu Wehr zu setzen?

Bischof Overbeck: Es spielt beim Blick auf den Krieg in der Tat eine Rolle, mit welchen Gegnern wir es zu tun haben. Diese Frage habe ich auch schon einmal mit dem Papst erörtert. Denn klar ist, es gibt Bedrohungen und Gegner, die unsere Werte und Prinzipien ablehnen und sogar vernichten wollen; diesen müssen wir uns mit großer Entschiedenheit entgegenstellen. Und dazu müssen wir auch in der Lage sein, und zwar in jeder Hinsicht. Dennoch dürfen wir dabei nicht unsere prinzipiellen Werte und Überzeugungen in Frage stellen. Das gehört zu unseren Selbstbestimmungspflichten. Sonst erlischt letztlich das Unterscheidungsmerkmal, das wir für uns in Anspruch nehmen.

General Rieks: Der darin anklingenden Verteidigungslogik würde ich unbedingt zustimmen. Doch betrifft das nur die Frage des Umgangs mit unseren Gegnern. Ich möchte dem noch eine Komplexitätsebene hinzufügen: Wie gleich sind wir hierbei eigentlich mit unseren Partnern? Zum Nato-Bündnis gehören etwa Nationen, deren Vorgehen wir manchmal in einigen Bereichen nicht teilen, sei es politisch oder militärisch. Und wenn wir genau hinsehen, gibt es im Detail auch durchaus unterschiedliche ethisch-moralische Bewertungen in jenen Ländern, die uns politisch und auch kulturell nah stehen. In diesen Ländern werden Fragen der Anwendung militärischer Gewalt mitunter sehr anders erörtert und bewertet als bei uns. Natürlich hat das historische Gründe. Wir haben in der letzten Sitzung der FCAS „AG Technikverantwortung“ über die Einbindung der Franzosen und Spanier gesprochen, die ich für dringend erforderlich halte, um hier eine möglichst europäische Position zu formulieren. Ich wage jedoch vorherzusagen: Einfach werden diese Diskussionen nicht werden, obwohl wir bei der kulturellen und politischen Prägung viele Gemeinsamkeiten aufweisen.

Wolfgang Koch: Sie beide betonen die Verantwortung des Einzelnen. Aber gibt es hier nicht ein Konfliktpotenzial zwischen Bischof und General? Letztverantwortung des Gewissens, Befehl und Gehorsam – wie passt das zusammen?

General Rieks: Zunächst einmal sind wir eine von ganz wenigen Nationen, die es den Soldatinnen und Soldaten ermöglicht, Gewissenentscheidungen zu treffen. Das ist wichtig und ist gesetzlich festgeschrieben. Allerdings hat natürlich auch jeder Soldat, jede Soldatin Verantwortung gegenüber den Kameraden. Das gilt in Gefechtssituationen in besonderer Weise. Meine Erfahrung ist, dass dieses Spannungsfeld nur durch bestmögliche Ausbildung, Ausstattung und Vorbereitung aufgelöst werden kann, so dass ich zumindest in einem gewissen Rahmen antizipieren kann, was auf mich zukommt – und mich entsprechend darauf vorbereiten und einstellen kann. Im Detail geht das natürlich nicht, aber bestmögliche Vorbereitung ist auch hier das Entscheidende.

Bischof Overbeck: Dem kann ich beipflichten. Und ich möchte zusätzlich auf die Gewissensschulung der Soldatinnen und Soldaten hinweisen, die eine wichtige Aufgabe der Bundeswehr und der Militärseelsorge ist. Hier sehe ich mich als Militärbischof auch persönlich in der Verantwortung. Und Sie können mir glauben: Ich würde dieses Amt nicht für jede Armee der Welt bekleiden. Denn auch mir geht es hier nicht anders als den Soldatinnen und Soldaten. Ich muss das, was ich tue, mit meinem Gewissen vereinbaren können.

Florian Keisinger: Herr Bischof, Stichwort Militärseelsorge, bemerken Sie Auswirkungen der technologischen Automatisierung auf Ihre Arbeit mit den Soldatinnen und Soldaten?

Bischof Overbeck: Die Technologieentwicklung wirft die Frage nach ihrer verantwortlichen Nutzung auf. Hier begegnen mir natürlich Fragen, die es vor 20 Jahren so nicht gegeben hat, wie z. B.: Wie wirkt sich etwa die aufgrund von Digitalisierung größere räumliche Distanz des Soldaten zum Gefechtsort auf die Verantwortung des Einzelnen aus?

Florian Keisinger: Hätten Sie dazu ein konkretes Beispiel?

Bischof Overbeck: Die Debatte um bewaffnete Drohnen ist hier sicherlich ein wichtiges Thema, das mir seit dem Afghanistan-Einsatz begegnet. Einerseits gibt es die Möglichkeit, das Leben der Soldatinnen und Soldaten durch den Einsatz bewaffneter Drohnen besser zu schützen; andererseits gibt es natürlich Fragen nach dem Schutz von Nicht- Kombattanten. Das sind nicht nur Fragen, die sich die Politik stellt, sondern auch jeder einzelne Soldat und jede einzelne Soldatin, die damit in Berührung kommt. Und nicht nur die, auch deren Angehörige und Partner.

Wolfgang Koch: Brauchen wir eigentlich eine digitale Ethik, und falls ja, was wären die erforderlichen Kriterien für ein FCAS?

General Rieks: Ich bin ein großer Freund von Kriterien. Je klarer desto besser, sonst laufen wir Gefahr, den Fokus und die Trennschärfe zu verlieren – und gleiten ab ins „Gefühl“. Die daraus möglicherweise entstehenden Ängste sind keine guten Ratgeber. Wie genau diese Kriterien aussehen sollen, weiß ich nicht. Auch hier sehe ich eine Aufgabe der „AG Technikverantwortung“, diese möglichst klar zu formulieren.

Erlauben Sie mir eine persönliche Ergänzung: Mein Eindruck ist, abstrakt gesprochen, dass wir bei derlei Debatten letztlich bei den Kardinaltugenden landen. Sie könnten ein geeigneter Ausgangspunkt für die Diskussion sein, die dann natürlich zu sehr viel konkreteren und anwendungsbezogenen Ergebnissen führen sollte.

[Anmerkung der Redaktion: Die exakte Bestimmung der vier Kardinaltugenden variierte im Laufe der Geschichte. Dazu gehören: Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, rechtes Maß.]

Daraus abgeleitet muss ein Wertegerüst je für unsere spezifischen Fragen entstehen. Damit haben wir dann einen Bewertungsrahmen und -maßstab für die Entwicklung unseres FCAS mit all den darin verwendeten Technologien.

Bischof Overbeck: Das ist ein Thema, mit dem ich mich momentan eingehend befasse. Ich bin wie Herr General Rieks der Auffassung, dass die Kardinaltugenden ein gedanklicher Ausgangspunkt sein können. Allerdings glaube ich, wir müssen eine neue Form ihrer Anwendung finden, nicht mehr alleine vom Subjekt ausgehend. Die Dynamik der Digitalisierung stellt uns hier vor große Herausforderungen, sie ist der Ort und Ausgangspunkt, auf den wir uns beziehen müssen. Und die große Frage ist: Wie bekommen wir den Subjektbegriff, der für die Letztverantwortung des Menschen steht, mit der Komplexität der digitalen Welt in Einklang? Das gilt für die Medizin, aber auch für politische Prozesse und natürlich auch für neue Waffensysteme. Hier stehen wir noch sehr am Anfang mit unseren Überlegungen. Im Grunde steckt dahinter ein ganz neuer Begriff von Schöpfung, zumindest aber der Art und Weise, wie wir unsere Welt beschreiben.