Der Gastbeitrag von Bischof Overbeck basiert auf seinem Vortrag, den er im Rahmen der Sitzung der „AG Technikverantwortung“ am 02. Oktober 2020 gehalten hat.

Konstruktive Konfliktkultur

Portrait von Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck
Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck
Katholischer Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr und Bischof von Essen

I.
Diese Tagung beschäftigt sich mit zukünftigen Luftkampfsystemen (FCAS / SKAF), und zwar auf einer Metaebene sehr detailreich vor dem Hintergrund eines deutsch-französisch-spanischen Programms zur Entwicklung eines Systems aus bemannten Mehrzweckkampfflugzeugen, unbemannten Begleitflugzeugen, sowie neuen Waffen und Kommunikationssystemen. Im Rahmen einer solchen Tagung vorzutragen, kann für einen Katholischen Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr nur bedeuten, sich wiederum auf einer Metaebene zum Gesamt dieser Thematiken zu verhalten, da er weder in diesen Arbeitsfeldern konkret bewandert, noch ein Experte für die genuin ethischen Reflexionen bezüglich der damit gegebenen Herausforderungen sein kann. Denn ein integriertes System, das Aufgaben von Drohnen, Kampfflugzeugen, Satelliten sowie Kommando- und Kontrollflugzeugen verbindet, hat es mit bisher ungewohnten Netzwerkfähigkeiten zu tun, möglicherweise auch mit Cyberkrieg-Fähigkeiten und mit neuen Formen von Energiewaffen. Um die Folgen ihres möglichen Einsatzes im verantwortungsethischen Bereich geht es dabei.

Das bedeutet konsequenterweise, angesichts dieser hochgradigen Herausforderung der Verwissenschaftlichung und Technisierung des militärischen Handwerks, neu der Frage nach der Verantwortung der Handlungsträger in diesen Systemen nachzugehen. Denn alle hier angewandte künstliche Intelligenz, auf welcher Ebene auch immer, bleibt wie bisher, in der Form des Einanders von Wissenschaft und Technik, dem Wohl der Menschen zugeordnet und darf sich nicht gegen die Menschheit an sich richten. Also geht es um eine Reflexion auf das ethische Wissen über den Menschen, seine Natur und eben die damit einhergehende Verantwortung, gerade im Blick auf besagte Formen von neuen Systemtechniken, die benutzt werden. Auf gänzlich neue Weise wird hier eingelöst, was Papst Benedikt XVI. und Papst Franziskus betont haben und betonen, wenn sie von einer „Ökologie des Menschen“ sprechen. Der Mensch verdankt sich nicht sich selbst, ist aber zugleich für sich und andere verantwortlich. Auf diese Weise vollzieht er menschliche Freiheit, die zugleich Verantwortung für die Freiheit anderer in sich einschließt.

II.
Ich gehe auf diesem Weg von einem Menschenbild aus, das im Begriff der Person seine Mitte findet, in der wahrnehmende Vernunft, wirkender Wille und Verantwortung zusammengefügt sind. Diese Bestimmung gilt es auf dem Hintergrund der neusten Techniken zu reflektieren. Denn die uneingeschränkte Verbreitung digitaler Techniken macht es unwahrscheinlich, dass Menschen aus sich heraus – durch Politik und/oder eigene Vernunfteinsicht – die damit einhergehende Mächtigkeit eingrenzen und entschleunigen würden. Hier ist der Mensch in seiner ethischen Dimension befragt und herausgefordert.

Denn je kräftiger die tödliche Wirkung von Waffen ist, umso notwendiger müssen die Menschen, die hinter diesen Systemen stehen und sie zu verantworten haben, wissen, was sie tun und ethisch verantworten wollen. Dafür ein ethisches Bewusstsein zu entwickeln, ist also unabdingbar. Dabei bleibt die genaue Bestimmung der Autonomie des Menschen im Blick auf die Möglichkeiten seiner Entscheidungen, wie auch angesichts der daraus entstehenden Folgen hoch bedeutsam. Deshalb muss es darum gehen, mit Blick auf die Nutzung entsprechender Waffensysteme ethische und auch rechtlich bedeutsame Prinzipien so zu formulieren, dass sie handlungspraktisch Orientierung und juristisch größtmögliche Sicherheit bieten. Diese ethischen Problemstellungen sind nämlich anders gelagert als solche bei der davon zu unterscheidenden, grundsätzlichen Frage, ob entsprechende Waffensysteme in ihrer Nutzung überhaupt zu verantworten sind.

Somit formuliere ich eher Leitplanken in der Hoffnung, dass sie möglichst komplexitätsgerecht auf die sich stellenden Fragen zu antworten imstande sind. Ein Ethos im Blick auf die technische Beherrschbarkeit und persönliche Verantwortung beim Gebrauch solcher Systeme künstlicher Intelligenz und umfassender Automatisierung zu entwickeln, kann einem wichtigen Ziel dienen, nämlich zu fragen, wie erlangte ethische Erkenntnisse technisch operationalisiert werden können, oder christlich gewendet, in der Verantwortung vor Gott und den Menschen dem Frieden dienen.

III.
Offensichtlich ist, dass in einem solchen Kontext das Potenzial für Konflikte steigt. Moderne, global und digital aufgestellte Gesellschaften sind strukturell anfällig für ethisch qualifizierte Konflikte. Zugleich aber ändert sich die Konfliktkultur1 in solchen Auseinandersetzungen selber, entwickelt neue Dynamiken, von denen manche beständig bleiben werden. Darum ist es notwendig, die ethischen Konflikte, die sich bei den oben beschriebenen Anwendungen neuer Waffensysteme auftun, nicht einseitig negativ zu beschreiben. Ein solcher Konflikt kann zwar in seiner Destruktivität, Dysfunktionalität und Negativität als ein – klassisch gesprochen – „Malum“ beschrieben werden, das es zu meiden gilt, vor allem eingedenk des ethischen Grundsatzes von Thomas von Aquin „Bonum faciendum, malum vitandum“. Aber eine derartig eindimensionale Abwertung und Stigmatisierung des Konflikts hilft nicht, weil gerade bei bewaffneten militärischen und nur als ultima ratio legitimen gewaltsamen Konfliktausträgen immer relevant bleibt, Konflikte sowohl ethisch konstruktiv, als auch institutionell zu bearbeiten. Damit ist der Anspruch verknüpft, Konflikte in all ihrer Destruktivität im Sinne möglichst wirksamer Deeskalation konstruktiv zu bearbeiten. Die Perspektive lautet: Wie können die Soldatinnen und Soldaten, in komplexen Konfliktlagen unmittelbar involviert und dabei nicht selten selbst von hartnäckigen Gewissenskonflikten geplagt, durch ihren Dienst zu einer möglichst konstruktiven Konfliktbearbeitung beitragen, auch dann, wenn sich für den einzelnen keine sichtbaren Erfolge oder überhaupt positive Wirkungen einstellen. Ein solches Tun verdient nicht nur Hoch- und Wertschätzung, sondern bedarf immer wieder auch ethischer und umfassend weiterer Persönlichkeitsbildung und, wenn nötig, seelsorglicher Betreuung.

In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, den Konfliktbegriff unabhängig von seinen spezifischen Kontexten, Ursachenkonstellationen oder Ausdrucksformen in seiner Komplexität möglichst unvoreingenommen als sozialen und politischen Tatbestand zu erfassen. Konflikte können produktiv sein, auch wenn die Realität häufig weniger ideal sein mag. Sie bewahren aber die ethisch qualifizierte Anpassungsfähigkeit eines Denkens und Entscheidens, indem sie Fehler bzw. Missstände sichtbar machen oder indem sie als Indikatoren für notwendige Veränderungen fungieren und so gemeinsame Lösungen trotz aller Gegensätze ermöglichen. Es ist nicht immer so, dass Konflikte nur bekannte Ordnungen zerstören. Als dynamische und konstruktiv laufende Prozesse haben Konflikte das Potenzial, strukturbildend zu wirken, neue Ordnungen auf der Grundlage von Bestehendem zu entwickeln und erforderlichen Wandel, wenn auch nicht als Selbstzweck, zu initiieren. Es bleibt dabei aber bedeutend, den herausfordernden Wandel nicht zu idealisieren, also damit verbundene Ängste ernst zu nehmen und glaubhaft zu vermitteln, dass Wandel und Erhalt von Bestehendem sich nicht gegenseitig ausschließen (müssen).

IV.
Genau diese Einsicht in das produktive Potenzial des Konflikts bei ethisch bedeutsamen Haltungen und Entscheidungen, gerade im Blick auf die Herausforderungen der künstlichen Intelligenz, ist von bleibender Aktualität und als solches bewusst zu halten. Dabei möchte ich kurz daran erinnern, dass zwei große Kirchenlehrer, nämlich Augustinus und Thomas von Aquin, das Denken Vieler gerade durch ihr stark ordnungszentriertes, auf Eintracht ausgerichtetes Ethoskonzept geprägt haben. Da für sie Ordnung als verbindliche Vorgabe Gottes in der Natur und in der Gesellschaft zu denken war, konnten sie Konflikte in der Regel nur negativ beschreiben, weil diese die Ordnung zu gefährden oder sogar zu zerstören imstande seien. Trotzdem haben beide dennoch Konflikte zugleich durchaus auch als positive und produktive Größen gedacht. In dieser Linie teilt die politische Philosophie der Neuzeit, wie z.B. an Immanuel Kant sichtbar, dem Konflikt, dessen Ursprung nach ihm im dialektischen Gegenspiel von menschlicher Geselligkeit und Ungeselligkeit zu suchen ist, bei allen möglichen Entartungen doch auch die Rolle einer mächtigen Triebkraft für den menschlichen Fortschritt zu. Infolgedessen wuchs die Einsicht in die positive Wirkung von Konflikten als unvermeidlichen Phänomenen der menschlichen Gesellschaft. Und selbst Papst Franziskus vermag sich in einem seiner ersten großen Schreiben im Jahr 2013, im Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“, in ähnlicher Weise dem Konfliktgedanken zu nähern. Er warnt davor, ihn zu ignorieren, ihn zu beschönigen oder sich gar in ihm zu verlieren. Als beste Option, dem Konflikt zu begegnen und die ihm innewohnenden Möglichkeiten beizubehalten, beschreibt der Papst die Bereitschaft, solche Konflikte zu erleiden, zu lösen und so zum Ausgangspunkt eines neuen Prozesses zu machen. Aus Streit könne sich Gemeinschaft, aus Unvereinbarkeiten eine vielgestaltige Einheit entwickeln. Der Konflikt könne nämlich oftmals in einem weiten Sinn als moralisch indifferent und hinsichtlich seiner Funktion ambivalent beschrieben werden. Seine Bewertung hänge vom konkreten Ausgang des jeweiligen Konfliktes ab. Die daraus resultierende Forderung ist evident. Es braucht eine ethisch verantwortete konstruktive Konfliktkultur der Verantwortungsträger. Ein differenzierter Zugang zum Konflikt als eines ambivalenten, der Kultivierung bedürftigen Phänomens kann eben hilfreich sein, da nicht alle Konflikte sinnlos oder schlecht zu bewerten sind, vor allem wenn es darum geht, destruktive Potenziale von Gewaltkonflikten einzuhegen und zu transformieren, sowie die produktiven Potenziale des Konflikts offenzulegen und nutzbar zu machen.

V.
Gerade im Blick auf die bei der Konfliktlösung wahrzunehmende Verantwortung ist daran zu erinnern, dass eine konstruktive Konfliktkultur ein Spektrum vorzeichnet, das sowohl die Delegation des Konfliktes an Institutionen und damit die Institutionalisierung des Konflikts, als auch Dialoglösungen in Form des Kompromisses und des Konsenses umfasst. Eigene Ansprüche zu Gunsten anderer Konfliktparteien oder zur Ermöglichung von Kooperation zurückzustellen, verlangt jedoch viel. Alle Konfliktparteien haben nämlich ihre Mitverantwortung für Konflikte ebenso zu reflektieren, wie sie ihre Haltung und ihre innere Einstellung zu überprüfen haben, mit der sie den Konflikt austragen.

Die ethische Tradition spricht hier von Tugenden, die zu üben wären. Zu nennen wäre dabei das Maßhalten, die Klugheit, die Wahrhaftigkeit, die Geduld und die Toleranz. Ebenso bedarf es des Mutes, um gerade die kontroversen und schwierigen Themen, die alte Gewissheiten infragestellen, anzugehen. Auseinandersetzung ist nicht durch Ausgrenzung zu verweigern. Entschiedener und klarer Widerspruch aber ist vielmehr überall dort zu leisten, wo Grenzen erreicht und der Rahmen konstruktiver Konfliktkultur nicht selten gezielt verlassen oder gar angegriffen wird, nämlich durch Fundamentalismen und Extremismen, die aufs Neue vor Augen führen, wie Polarisierungen Vorschub geleistet werden. Die Verrohung der Sprache steht hierfür als Indikator zur Verfügung.

Dabei ist klar, dass nicht jeder Konflikttyp in gleicher Weise konstruktiv bearbeitbar ist. Anders als unechte Konflikte, in denen der Konflikt zum Selbstzweck degeneriert, sind echte, einem bestimmten Ziel zugeordnete Konflikte durchaus konstruktiv bearbeitbar. Hierbei sind wiederum teilbare Konflikte, die hinsichtlich des Konfliktgegenstandes ein „Mehr oder Weniger“ zulassen, einfacher handzuhaben als unteilbare Konflikte, die lediglich ein „Entweder Oder“ kennen. Spannungen und fundamentale Diskrepanzen ergeben sich jedenfalls im Blick auf die jeweiligen Ebenen des einzelnen Konfliktes. Wenn sie auf innergesellschaftlicher Ebene auszutragen sind, bedeutet dies anderes, als auf internationaler. Gerade auch für den Soldaten ergeben sich hier, durchaus mit Blick auf das traditionelle Konfliktbewältigungsideal, wichtige Perspektiven, nämlich den tapfer kämpfenden, klug urteilenden und maßhaltenden Friedenstifter so in seinen ethischen Handlungsdispositionen zu stärken, dass er in seiner Tüchtigkeit ermächtigt wird, verlässlich und beständig in Stresssituationen verantwortlich zu reagieren. Über diese Verantwortungskompetenz verfügt er dann, wenn er über besagte Tugenden verfügt und sein Wille im und zum Guten gefestigt ist, vor allem durch die bereits benannten Tugenden der Tapferkeit, der Klugheit und der Maßhaltung, gestärkt in der Gesinnung, dem Frieden dienen zu wollen. Dabei ist das Proportionalitätsprinzip zu beachten, das immer darauf aus ist, ein bedeutsames Ziel mit schonenden Mitteln zu erreichen. Darum muss der Soldat seine Tapferkeit auch an die Gerechtigkeit binden, wie auch an die Klugheit, da ihm kein noch so passendes ethisches und rechtliches Wissen eindeutig vorgibt, wie er sich in einer bestimmten Situation verhalten soll. Er muss sein Tun oft unter großen Unsicherheiten und in einem in ethischer Hinsicht nur grob zu vermessenen Feld leisten. Es kann sein, dass er, obwohl er mit bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat, im Nachhinein feststellen muss, dass sein Urteil auf ethischen Vorgaben und/oder einer Lagebeurteilung beruht hat, die sich in nachfolgenden Reflexionen als unzulänglich erwiesen haben. Das gilt nicht nur für sein Tun. Auch sein Unterlassen ist begründungsbedürftig. Wenn es also in vielen Situationen oftmals schwer ist, das Richtige vom Falschen zu unterscheiden, erzeugt dies auf verschiedenen, miteinander verwobenen Ebenen einen Konfliktdruck, den es anzunehmen und produktiv zu nutzen gilt. Was heißt das genau für das soldatische Verantwortungsethos?

VI.
Eine wichtige Ebene für ethisch zu verantwortete Entscheidungen, die dabei zu beachten ist, ist die des Gewissens des Soldaten. Der Soldat darf nämlich der Frage, was richtig oder falsch ist, nicht ausweichen und muss sich aus seinem Handeln ein Gewissen machen, weil es zum einen um seine sittliche Identität geht, zum anderen aber – für den religiösen Menschen – im Gewissen um die Begegnung zwischen Gott und ihm als Mensch. Denn das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist (vgl. Vat II, Gaudium et spes 16). Diese moralische Selbstbestimmung im Gewissen wird nach unserer Tradition als für den Soldaten wichtiges Merkmal der unantastbaren Würde des Menschen verstanden. Die Gewissensbildung zielt dabei auf ein Vorstellungsvermögen, das alternative Handlungsoptionen entwickelt, aber immer auch auf die Schärfung der Urteilsfähigkeit achtet, in Konfliktsituationen moralisch angemessen entscheiden zu können. Und dies insbesondere deshalb, weil das Gewissen aufgrund der jeder Gewaltausübung zu Grunde liegenden Eigendynamik abzustumpfen drohen kann.

Im Zentrum einer solchen Gewissensbildung steht dabei das ethische Urteil, das nicht einfach aus allgemeinen Normen abgeleitet werden kann. Zu einem solchen Urteil gehört wesentlich die empirische Erkenntnis des situativen Kontextes, auf den die Normen angewandt werden sollen und müssen. Der Urteilende muss sich im Klaren darüber sein, welche der als gültig bereits vorausgesetzten Normen in einem gegebenen Fall im Licht aller relevanten Situationsmerkmale angemessen ist angewandt zu werden. Denn die Erkenntnis von Normen ersetzt nicht die situationsgerechte Anwendung, noch schließt sie den Konflikt mit anderen moralischen Pflichten von vornherein aus. Als Gewissenskonflikt sei hier ein Konflikt verstanden, bei dem es um die moralische Existenz des Urteilenden geht: Würde der Betreffende gegen seine tiefe ethische Überzeugung handeln, so würde er seine sittliche Selbstbestimmung verraten und zerstören, also damit die Mitte seiner personalen Existenz. Dann – und nur dann – handelt es sich um einen Gewissenskonflikt. Da sich soldatischer Dienst eben gehäuft unter ethisch eher unklaren Bedingungen vollzieht, bedeutet dies eine erhebliche Verschärfung der Last, die auf dem Gewissen des einzelnen liegt. Weil das Gewissen aber derart gravierend die Mitte der personalen Existenz des Menschen bildet, ist dabei immer das Recht auf Freiheit dessen zu achten, der entsprechend handelt. Letztlich muss es darum gehen, Frieden in Freiheit zu stiften, indem derartige Konflikte angegangen und produktiv ausgetragen werden.

VII.
Im Blick auf den Einsatz autonomer Waffensysteme zeigt sich dabei das ethische Problem verschärft darin, dass der menschliche Verantwortungsträger mit seiner ethisch qualifizierten Entscheidung verschwinden kann, zumindest der Eindruck entsteht, dass er es könne . Darum müssen die grundlegenden ethischen Fragen, die sich angesichts des möglichen Einsatzes von künstlicher Intelligenz in der militärischen Robotic zeigen, von denselben moralischen Prinzipien, aber auch völkerrechtlichen Regelungen her beantwortet werden, die auch herkömmliche Waffensysteme aufgeworfen haben, die dem Gegner Schaden zufügen und dabei Menschen töten können.

Gerade im Blick auf die Bewertung künstlicher Intelligenz ist dabei jedoch nicht zu vergessen, dass militärisch, politisch und ethisch der unbestreitbare Vorzug unbemannter Kampfmittel darin liegt, dass sie ihren Auftrag ohne Gefahr für Leib und Leben der Soldaten ausführen können. Dieser Hinweis auf die Fürsorgepflicht gegenüber den eigenen Kombattanten hat zweifellos erhebliches ethisches Gewicht, muss aber in eine ausgewogene Balance mit dem Ziel erbracht werden, unbeteiligte Zivilpersonen auf der Gegenseite zu schonen. Dennoch stellen Sicherheitsgewinn und Risikominimierung für die eigene Truppe bei der zu treffenden Abwägung ein starkes Gewicht auf der Waagschale dar. Bedacht werden muss vor allem, dass solche Systeme möglicherweise einen zweiten ethischen Konflikt generieren können, der nicht zu unterschätzen ist, wenn nämlich gedacht wird, dass sie vermeintlich über eine höhere Fähigkeit zur Lösung von Problemen verfügen und sich gerade deshalb ethische Dilemmata-Situationen einstellen können. Solche Robotic-Systeme könnten nämlich, so das Argument, den Einsatz militärischer Gewalt besser als menschliche Akteure auf das mildeste, erfolgsversprechende Mittel begrenzen und so der Einhaltung des humanitären Kriegsvölkerrechts dienlich sein.

Dazu aber muss gesagt sein, dass sich in der emotionalen Abkoppelung autonom agierender Systeme, die bereits im Vorfeld der Entscheidung dem Menschen wichtige Teilaufgaben abnehmen, auch eine höchst ambivalente Tendenz verbergen kann. Zwar kann der Einsatz robotischer Entscheidungshilfen menschliche Unzulänglichkeiten kompensieren, doch schafft dies zugleich neue Probleme, da die Rolle unklar wird, die der Mensch in der hierarchischen Entscheidungs- und Verantwortungskette spielt, die schließlich zur Waffenauslösung führt. Sollte nämlich der Schritt zu vollautomatischen Waffensystemen, die keiner Steuerung oder Überwachung durch den Menschen mehr bedürfen, jemals vollständig möglich sein, dann gäbe es die ethisch und völkerrechtlich unannehmbare Konsequenz, dass es niemanden geben könnte, der sich für Kriegsverbrechen verantwortlich wissen müsste und so bestraft werden könnte. Erst recht die Verantwortung für das Töten von Menschen würde diffus und könnte keinem der beteiligten menschlichen Verantwortungsträger eindeutig zugeschrieben werden. Das Problem in einer solchen Lage bleibt nämlich der Grundsatz, dass die Tötung eines Menschen niemals legitim sein kann, außer wenn ein menschlicher Akteur nach überprüfbaren moralischen und rechtlichen Maßstäben dafür Verantwortung übernimmt. Wenn nun aber militärische Robotic-Systeme nicht mehr nur Befehle ausführen und vorgegebene Ziele verfolgen können, sondern selbst an der Erteilung von Befehlen mitwirken und die Auswahl der Ziele in einer von menschlichen Koakteuren kaum mehr durchschaubaren Weise mitbestimmen, kommt es zu einer Verbindung von Mensch und Robotic, die eine zentrale Voraussetzung jeder Ethik unterläuft, nämlich das Konzept eigenverantwortlicher autonomer Handlungsträgerschaft. Für irrtümliche Tötungshandlungen, potentielle Würdeverletzungen und ungerechtfertigte Eingriffe in die leibseelische Integrität unschuldiger Menschen würde dann keinesfalls ein verantwortliches Individuum identifiziert werden können, obwohl dies alles Vorgänge sind, die den Kernbereich ethisch qualifizierter Verantwortung berühren. Hier hätte sich dann jeder Handelnde als instrumentalisierendes Instrument einer zur Liquidation von Menschen programmierten Tötungsmaschine dekonstruiert. Es ist eben nicht auszuschließen, dass geschieht, was nicht geschehen darf, dass nämlich menschliche Verantwortung für den Einsatz militärischer Gewalt in Zukunft in immer stärkerem Maße an autonome Steuerungssysteme delegiert wird und es so zu einer Ära von Kriegsführung kommt, in der die Rede von der „Entmenschlichung des Krieges“ leider einen neuen Sinn gewinnen könnte.

So zeigt sich auch hier wieder als letztes Kriterium das der Verantwortung, die denjenigen zu tragen auferlegt ist, die im Sinne einer konstruktiven Konfliktkultur alles Erdenkliche tun oder auch lassen müssen, um dem Ziel zu dienen, die großen politischen und militärischen Herausforderungen der Gegenwart möglichst friedlich zu lösen. Auch angesichts einer Mitverantwortung aller am Konflikt Beteiligten muss dies im Sinne gut begründeter ethischer Tradition so geschehen, die die Grundannahmen der Tugendlehre, auch im Blick auf die Autonomie der Entscheidung des einzelnen Soldaten und der politischen und militärischen Verantwortungsträger, bestätigt und immer wieder in ihr Recht eingesetzt werden.


  1. Zum Ganzen vgl. Overbeck, Franz-Josef, Konstruktive Konfliktkultur. Friedensethische Standortbestimmung des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr, Verlag Herder, Freiburg 2019.