Ein Beitrag der „AG Technikverantwortung für ein FCAS“

Ethik und Verteidigung: Zur verantwortlichen Nutzung neuer Technologien in einem „Future Combat Air System“

Mit dem „Future Combat Air System“ (FCAS) wird im Jahr 2040 die nächste Generation eines vernetzten Luftkampfsystems in Betrieb genommen. Auch wenn bei den politisch und militärisch wichtigsten Mächten ethische Aspekte bei der Entwicklung neuer Waffensysteme eine eher untergeordnete Rolle spielen dürften, sollte Europa die Debatte um einen verantwortungsvollen Technologieeinsatz selbstbewusst führen.

Die Inbetriebnahme eines „Future Combat Air Systems“, kurz FCAS, durch europäische Luftstreitkräfte ist für das Jahr 2040 geplant. Mit den konzeptionellen Vorbereitungen, an denen derzeit Deutschland, Frankreich und Spanien beteiligt sind, wurde 2019 begonnen. Derzeit steht das Projekt vor dem Eintritt in die Phase der Technologieentwicklung, welche im Jahr 2026 in der Bereitstellung flugfähiger Demonstratoren resultieren soll.

Dass FCAS deutlich mehr sein wird als „nur“ ein neues Kampfflugzeug, erhöht die Komplexität des Vorhabens. Tatsächlich handelt es sich um einen Gesamtverbund, zu dem neben dem bemannten Flugzeug auch unbemannte Komponenten, sogenannte „Remote Carriers“, gehören werden, sowie weitere zum Teil bereits bestehende, zum Teil noch zu entwickelnde Plattformen (zum Beispiel eine Eurodrohne). Dazu kommen die Vernetzung der Teilsysteme, ihr automatisiertes Zusammenwirken, etwa im Rahmen eines „manned-unmanned-teaming“, sowie die Verbindung mit den Domänen Boden, See und Weltraum. Von zentraler Bedeutung für ein derart hochvernetztes System wird seine Fähigkeit zur Generierung, Aufbereitung und Zurverfügungstellung großer Datenmengen sein. Sowie die Plattform übergreifend koordinierte Missionsplanung und -durchführung. Zu diesem Zweck soll ein FCAS mit einer speziell dafür zu entwickelnden Cloud-Architektur ausgestattet werden, die den Missionsbeteiligten ein umfassendes Lagebild zur Verfügung stellt und die erforderlichen Aktionen zur Umsetzung plant, die Durchführung in Echtzeit koordiniert und im Nachgang verifiziert. Sollte FCAS wie derzeit vorgesehen realisiert werden, handelt es sich um das größte europäische Verteidigungsprojekt der kommenden Jahrzehnte, wenn nicht des 21. Jahrhunderts.

Die daran geknüpften Anforderungen sind technologischer, strategischer und politischer Natur. Und sie haben eine wichtige ethische und gesamtgesellschaftliche Dimension. Alle diese Facetten sind eng miteinander verwoben.

Dieser intellektuellen Herausforderung müssen und wollen wir uns stellen. Aus diesem Grund wurde im Jahr 2019 die „AG Technikverantwortung für ein FCAS“ ins Leben gerufen; als eine Plattform, initiiert von Airbus und Fraunhofer, die aus gesamtgesellschaftlicher und dezidiert ethischer Perspektive die Entwicklung eines FCAS begleiten wird, im engen Zusammenspiel von normativer Reflexion und technologischer Integration. Ziel ist es, denjenigen, die mit der Entwicklung des Systems betraut sind, ethische Anforderungen („Requirements“) und ein Prozessmodell zu ihrer Umsetzung an die Hand zu geben. Ein solches Vorgehen ist weltweit präzedenzlos; einen vergleichbaren Ansatz hat es bislang bei der Entwicklung eines wegweisenden Rüstungsprojekts nicht gegeben. Um den engen und praxisnahen Austausch sicherzustellen, sind Ingenieure und Informatikerinnen ebenso Teil der Gruppe wie Theologinnen, Geistes- und Sozialwissenschaftler/innen, Operateure der Luftwaffe, der öffentliche Auftraggeber sowie weitere mit außen- und sicherheitspolitischen Themen betraute staatliche Akteure.

Die begonnenen und vor uns liegenden Diskussionen sind komplex. Sie basieren großenteils auf Prämissen eine unsichere Zukunft betreffend. Das beginnt damit, dass eine zuverlässige Prognose darüber, welche Technologien im Jahr 2040 und danach zur Verfügung stehen werden, nicht möglich ist. Ähnliches gilt für die globale Sicherheitslage. Derzeitige Trends einfach weiterzuschreiben wäre zu kurz gegriffen. Und dennoch müssen wir bei der Diskussion um ein künftiges FCAS von Rahmenbedingungen globaler, strategischer und technologischer Natur ausgehen. Mit welchen technologischen Megatrends werden wir es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu tun haben? Was für eine Weltordnung wird sich herauskristallisieren? Und welche Rolle wird Europa dabei spielen?

Der technologische Fortschritt wird sich in den kommenden Jahrzehnten weiter beschleunigen, mit Auswirkungen auch auf den militärischen Bereich. Der Weltraum wird zu einer wichtigen sicherheitspolitischen Komponente werden. Cyber-Bedrohungen werden an Gewicht gewinnen. Weiterhin rechnen wir damit, dass sich die systemische Rivalität zwischen den Vereinigten Staaten und China fortsetzen wird, wovon militärische Aspekte nicht ausgeschlossen sein werden.

Daraus resultierend wird sich auch der Charakter militärischer Konflikte verändern; die Akteure werden schneller werden, die Situationen komplexer und unübersichtlicher. Digitalisierung und Automatisierung werden in den Konflikten der Zukunft eine zentrale Rolle spielen, was dazu führt, dass kritische Infrastrukturen zunehmend verwundbar werden. Die Informationshoheit, das heißt, der Zugang zu Daten und deren Bewertung, wird in militärischen Konflikten der Zukunft von herausragender Bedeutung sein.

All diese Erwartungen berühren ein FCAS. Dabei ist die entscheidende Frage nicht, ob in einem FCAS Automatisierung zum Einsatz kommt. Ohne einen hohen Grad an Automatisierung wird ein solches europäisches System im globalen Maßstab wirkungs- und damit zwecklos sein. Die Frage lautet daher vielmehr: Wie können wir sicherstellen, dass eine automatisierte Entscheidung eine menschliche Entscheidung bleibt? Welche Rolle muss dem Menschen in einem FCAS unwiderruflich zugeschrieben werden, und vor allem, wie stellen wir diese bei der technologischen Realisierung sicher? Oder aus der Perspektive des Ingenieurs formuliert: Wie lässt sich die verantwortliche Nutzung neuer Technologien wie „Künstliche Intelligenz“ in einem FCAS designtechnisch operationalisieren? Antworten darauf lassen sich nur im engen intellektuellen und methodischen Zusammenspiel zwischen normativer Bewertung und technologischer Realisierung formulieren; und genau dieses enge Zusammenspiel streben wir in der „AG Technikverantwortung für ein FCAS“ an.

Wir plädieren dafür, die erforderlichen Diskussionen selbstbewusst zu führen. Darauf bauend, dass die Auseinandersetzung nicht zu einer Schwächung der eigenen Fähigkeiten führt, sondern dass die kritische Selbstvergewisserung Bestandteil europäischer Stärke ist. Dazu gehört, dass wir zeitnah auch unsere FCAS-Partnernationen Frankreich und Spanien hierbei einbinden.

Die Entwicklung eines europäischen FCAS befindet sich derzeit noch in einem frühen Stadium. Es ist somit der richtige Zeitpunkt, die Debatte um die verantwortliche Nutzung neuer Technologien einzusteigen. Beides soll fortan eng miteinander verknüpft werden, um so sicherzustellen, dass technologische Entwicklung und deren angemessene, sprich ethisch verantwortbare Anwendung zwei Seiten einer Medaille sind.


Die Mitglieder der „AG Technikverantwortung für ein FCAS“ sind (in alphabetischer Reihenfolge):
Nora Bossong, Anja Dahlmann, Bruno Fichefeux, Sophie-Charlotte Fischer, Ulrike Franke, Gerald Funke, Thomas Grohs, Florian Keisinger, Wolfgang Koch, Ulrich Kühn, Christian Mölling, John Reyels, Frank Sauer, Hartwig von Schubert, Ellen Ueberschär, Johannes Winter, Nils Wörmer, Carl Wrede.

Die „AG Technikverantwortung für ein FCAS“ wurde 2019 gemeinsame von Airbus und Fraunhofer ins Leben gerufen. Das jüngste Treffen fand am 1. und 2. Oktober in Berlin statt. Hintergründe zu den Mitgliedern sowie Informationen zur bisherigen Arbeit der Gruppe finden Sie unter www.fcas-forum.eu


Der Beitrag erschien in der November-Ausgabe der Zeitung „Behördenspiegel“.